Philosophie:
Bastel Deine Lebenserfahrungen,
Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten
so in einen Zusammenhang,
daß sie für Deine Zwecke nützlich werden.
Philosophie ist Philosophieren
Philosophie, man stellt sich darunter gelehrte Dispute, unverständliche Texte und Büchereien voller staubiger Wälzer vor. Korrekt, das ist aus der Philosophie geworden. Aber eigentlich ist Philosophie eine ganz praktische Sache.
Das Wort "Philosophie" bedeutet: Liebe zur Weisheit. Wenn wir aus dieser hochwürdigen Bezeichnung ein wenig die Luft rauslassen, dann bleibt etwas übrig, was jeder Mensch immer schon tut: Sich in der Welt orientieren, sein Leben gestalten.
Die meisten Menschen kümmern sich nicht weiter darum, wie ihre Lebenserfahrungen zu einer Weltbeschreibung zusammenwachsen. Das Ergebnis sind Widersprüche, Ungereimtheiten und Brüche: falsche Orientierungen, man versteht Menschen oder die Welt irgendwann nicht mehr, stößt an unverständliche Grenzen und kann Möglichkeiten für ein besseres Leben nicht erkennen.
Philosophieren ist eine Tätigkeit, die darin besteht, seine Lebenserfahrungen, Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu überschauen, zu sortieren, Verbindungen herzustellen und Widersprüche auszuräumen. Der Zweck des Philosophierens ist: Sich ein besseres Leben zu ermöglichen. "Besser" bedeutet für jeden Menschen etwas anderes: Glück, Erfolg, Wohlstand, Überleben, Liebe - was auch immer.
Die Philosophie gibt es nicht. Jeder Mensch, der philosophiert, kommt dadurch zu seiner Philosophie. Zwischen den Philosophien gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede, aber es gibt keine absolut wahre Philosophie, die für alle Menschen gültig wäre.
Warum philosophieren?
Auslöser des Philosophierens, sagt man gewöhnlich, sei das Staunen. Darin steckt ein richtiger Kern. Wenn wir aus dem Stauen ein wenig Luft rauslassen, bleibt: Verwirrung. Da ist etwas anders, als man es erwartet hatte: staun. Das geschieht, wenn man merkt, daß mit der eigenen Weltbeschreibung irgendetwas nicht stimmt. Die Welt ist anders als erwartet.
- Man verliert unerwartet seinen Job,
- die Frau ist nicht mehr da, wenn man nach Hause kommt,
- die Kinder ernähren sich von Rauschgift,
- der beste Freund läßt sich plötzlich nicht mehr sehen,
- das Leben ist nur noch langweilig,
- was auch immer.
Viele Menschen reagieren erst, wenn ihnen solch unglaubliche Ereignisse selbst geschehen. Manche Menschen sind vorsichtiger, sie staunen schon, wenn sie sehen, was anderen Menschen geschieht. Sie sehen um sich herum Ehen auseinanderbrechen, Kinder verwahrlosen und aus Freunden Feinde werden: staun. Damit ihnen selbst solche Unglücke erspart bleiben, fangen sie an, ihre eigene Weltbeschreibung zu prüfen, um solche Überraschungen zu vermeiden, besser darauf vorbereitet zu sein und ihr Leben zielsicher in die eigenen Hände zu nehmen. Sie beginnen zu philosophieren.
Der Zweck des Philosophierens ist also:
Ein reicheres, besseres, erfolgreicheres und glücklicheres Leben.
Wie philosophieren?
Ein Mensch erzeugt seine Weltbeschreibung durch:
- 'Gesunden Menschenverstand', d.h. man läßt seine Lebenserfahrungen zusammenwachsen wie es gerade so kommt und paßt. Solche Weltbeschreibungen funktionieren kurzfristig oft ganz gut, scheitern aber immer wieder an langfristigen Entscheidungen und Problemen.
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Emotionalismus, d. h. was sich gut anfühlt ist richtig. Solche Weltbeschreibungen funktionieren nie, weil Emotionen widersprüchlich und nicht dazu fähig sind, die Ergebnisse von Handlungen und Entscheidungen einigermaßen verläßlich vorherzusagen. Emotionalismus erzeugt unglückliche Menschen, denn es werden durch emotionales Verhalten immer wieder Brüche im Leben erzeugt (das Leben zerbrochen).
Emotionen sind weder unnütz noch schlecht, ganz im Gegenteil: Sie sind absolut lebensnotwendig - bloß eben nicht zur Weltbeschreibung geeignet. - Glauben, d. h. man übernimmt die Weltbeschreibung eines anderen Menschen und versucht seine eigenen Lebenserfahrungen an diese Weltbeschreibung anzupassen. Das ist ein Glücksspiel, es kann zeitweilig halbwegs funktionieren, es kann aber auch fürchterlich danebengehen - und das wird langfristig geschehen, weil keine zwei Menschen gleich sind.
- Vernunft, d. h. man erzeugt durch selber-denken, durch das Spiel von Gründen und Gegengründen, ein eigenes Weltbild. Das ist langfristig die einzige Möglichkeit, sich gewollte und erreichbare Ziele zu setzen und diese zu erreichen.
Seine Weltbeschreibung durch Philosophieren erzeugen bedeutet: Die eigenen Lebenserfahrungen durch vernünftige Argumentation und ohne weitere Voraussetzung (z. B. Emotionalismus oder Glauben) zu einem zusammenhängenden, widerspruchsfreien und funktionierenden Ganzen, der eigenen Weltbeschreibung, zu integrieren.
- Zusammenhängend: Alle Teile sind miteinander verbunden - "vernetzt" sagt man heute.
- Widerspruchsfrei: Widersprüche verhindern Verstehen und Handeln, denn in der wirklichen Welt gibt es keine Widersprüche. Wo scheinbar Widersprüche auftreten, ist etwas noch nicht genau genug durchdacht. Natürlich können Widersprüche, z. B. in der Kunst, durchaus sinnvoll verwendet werden - aber nur, wenn man weiß: Da sind Widersprüche.
- Funktioniert: Das meint anwendbar, nützlich und brauchbar, um Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Funktionieren kann eine Weltbeschreibung nur, wenn sie zusammenhängend und widerspruchsfrei ist.
Nun ist es unmöglich, alle Lebenserfahrungen auf Zettelchen zu schreiben und dann wie ein Puzzle zu einem Ganzen zusammenzufügen. Man braucht deshalb Prinzipien oder allgemeine Regeln als Leitlinien, sowohl für das Philosophieren als auch in der daraus entstehenden Philosophie.
Man beginnt mit sogenannten Prämissen, d. h. mit Voraussetzungen, auf denen der Rest durch Schlußfolgerung aufgebaut wird. Ein Beispiel:
1. Prämisse: Es gibt sinnliche Wahrnehmung.
2. Prämisse: Sinnliche Wahrnehmung unterteilt sich in Wahrgenommenes und Wahrnehmenden. Schlußfolgerung: Es gibt Wahrnehmende und Wahrgenommenes.
Beide Prämissen sind evident (offensichtlich), d. h. sie sind absolut und unwiderlegbar. Die Schlußfolgerung ist logisch aus den Prämissen abgeleitet.
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Es geht nun nicht darum, ob das Beispiel für Dich passend ist. Man kann mit sehr verschiedenen Prämissen beginnen, aber man beginnt immer mit Prämissen (oder Axiomen bei formalen Systemen), denn Prämissen sind das, was evident (oder voraus-gesetzt) ist und keines Beweise bedarf. Beweise und Schlußfolgerungen können immer nur aus Prämissen abgeleitet werden.
Aber:
Wenn etwas nicht funktioniert, prüfe deine Prämissen.
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Ein schöner Tag an der Uni ... |
Nun hat nicht jeder Mensch die Zeit - und mancher auch nicht die Denkfähigkeit - um seine Philosophie von Grund auf zu entwerfen. Deshalb kann es vernünftig sein, auf die Entwürfe anderer Menschen zurückzugreifen - aber diese dann nicht zu glauben, sondern sie nach-denkend zu prüfen und sich verstehend anzueignen.
Da tritt jedoch ein Problem auf: Die meisten Philosophien sind so abstrakt und kompliziert, daß man sie ohne ein Studium der Philosophie kaum verstehen kann. Letztlich ist das aber kein Problem, denn diese hochabstrakten Entwürfe haben mit der Lebenspraxis Null zu tun. Es sind sprachliche Labyrinthe, in denen ihre Schöpfer wie Leser sich immer nur verirrt haben. Sie fangen mit abstrakten Prämissen an und enden bei ebenso abstrakten Konzepten. Interessant sind sie nur als Sprachspiele für weltferne Spezialisten, nicht für das Leben.
Eine Weltbeschreibung ist für das praktische Leben nur dann interessant, wenn sie auf der praktischen Lebenserfahrung gründet, uns sagt, was wir mit unserem Leben machen und wie wir das erreichen können. Alles andere ist, außer als intellektueller Zeitvertreib oder Denktraining, uninteressant.
Ayn Rand (* 20. Januar/2. Februar 1905 in Sankt Petersburg, Russland; † 6. März 1982 in New York City), Schriftstellerin und eine sehr praktische Philosophin, beschrieb in "The Romantic Manifesto" die Bedeutung einer Philosophie für das Leben (Hervorhebungen und in "[ ]" von MDE):
"Um zu leben, muss der Mensch handeln. Um zu handeln, muss er Entscheidungen treffen. Um Entscheidungen zu treffen, muss er einen Wertekodex [allgemeine Entscheidungsregeln] definieren. Um einen Wertekodex zu definieren, muss er wissen, was er ist und wo er ist, d. h. er muss seine eigene Natur kennen (einschließlich der Mittel der Erkenntnis) und die Natur des Universums, in dem er handelt."
Immanuel Kant (* 22. April 1724 in Königsberg; † 12. Februar 1804 ebenda) ein ansonsten eher abstrakter Philosoph, den Ayn Rand intensivst verabscheute, beschrieb Philosophie als Aufklärung (Hervorhebungen und in "[ ]" von MDE) :
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." (Beantwortung der Frage: was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift, 1784,2, S. 481–494)
Die philosophischen Grundfragen
Der oben erwähnte Immanuel Kant hat sich vier Fragen gestellt, und diese zu beantworten versucht:
- Was kann ich wissen? - Beantwortet in der Erkenntnistheorie
- Was soll ich tun? - Beantwortet in der Ethik
- Was darf ich hoffen? - Beantwortet in der Religionsphilosophie
- Was ist der Mensch? - Beantwortet in der Anthropologie (Wissenschaft vom Menschen)
Wenn das die Fragen sind, die einem Menschen wichtig sind, könnte es sich für diesen Menschen lohnen, Kant zu lesen. Aber Kant ist nicht einfach zu verstehen und wird von jedem seiner Leser anders verstanden.
Ich finde Kants Fragen uninteressant. Ich habe mir folgende drei Fragen gestellt und versuche diese zu beantworten:
- Was kann ich tun? Antwortet auf die Frage, nach den Möglichkeiten des Handelns, nach möglichen Mitteln, um Ziele zu erreichen und damit auch, welche Ziele überhaupt erreichbar sind.
- Was muß ich tun? Antwortet auf die Frage: Wie kann ich (über)leben?
- Was will ich tun (aus mir machen)? Antwortet auf die Frage: Wozu lebe ich?
Jeder Mensch muß sich seinen persönlichen Frageset zusammenstellen. Im folgenden kann ich nur eine Antwortmöglichkeit auf meine Fragen zeigen - meine Antworten, wie ich sie gegenwärtig gebe - das kann sich aber morgen schon geändert haben.
Meine Philosophie
Als Beispiel, wie man sich eine Philosophie bastelt, sei meine Philosophie, denn die kenne ich am besten, angeführt.
Ich bin, wie aus meinen obigen Fragen schon hervorgeht, Pragmatiker. Pragmatiker stellen immer die Frage: ,Welche Konsequenzen folgen daraus?', und nie die Frage ,Ist es wirklich so?'." Man kann z. B. die Aussage eines anderen nur verstehen, wenn man erfaßt, welche Konsequenzen für den Sprecher und für den Hörer damit verbunden sind.
Man kann dann feststellen, ob aus einer Handlung oder Behauptung
- Konsequenzen folgen, die mir oder anderen nützlich sind, also Ziele fördern.
- Konsequenzen folgen, die mir oder anderen schädlich sind, also Ziele behindern.
- Keine Konsequenzen folgen, also nutz- und schadlos sind.
Das wird entsprechend angewandt:
- Das Nützliche ist das, was ich tue oder fördere,
- das Schädliche ist das, was ich vermeide oder verhindere und
- das, woraus keine Konsequenzen folgen, ist uninteressant.
Das sind meine Prämissen. Ich beanspruche für diese Prämissen keinerlei Wahrheit oder Allgemeingültigkeit. Es sind einfach meine Entscheidungen. Wenn man mich fragt, warum ich mich für diese Prämissen entschieden habe, gibt es nur eine Antwort:
Ich will leben,
ich will glücklich leben und
ich will, daß mein Leben blüht und gedeiht.
Wenn man darüber nachdenkt, stellt man fest, daß "leben wollen", "glücklich leben wollen" und ein "florierendes Leben" (blüht und gedeiht) ein und dasselbe ist. Wer überhaupt leben will, der will auch glücklich und dauerhaft leben. Wer weder glücklich noch dauerhaft leben will, der will gar nicht leben. Er will sterben, tot sein.
Das ist typisch der Fall, wenn dieses Leben nur als ein Durchgangsstadium in ein anderes, besseres Leben (Himmel, Paradies, Nirwana) verstanden wird.
- Selbst wenn wir annehmen, daß es solch ein jenseitiges Leben gibt, ist es höchst unlogisch anzunehmen, daß es Leuten gewährt wird, die im diesseitigen Leben nur sterben wollten.
- Wenn es ein jenseitiges Leben gibt, kann es nur Menschen zugänglich sein, die im diesseitigen Leben aus voller Kraft lebendig waren - und als Lebensprotze im Jenseits ankommen. Das müssen Menschen sein, die mit ihrer gewaltigen Lebenskraft den Tod überwinden.
Leben wollen ist eine Lebenseinstellung!
Ein Beispiel dafür, wie durch Lebenskraft der Tod überwunden werden kann, wäre z. B. das aus asiatischen Religionen bekannte Aufsteigen der Kundalini-Shakti, die als Sammlung der Lebensenergie verstanden wird. Ob das Phänomen, welches als Kundalini-Shakti beschrieben wird, erzeugt werden kann und welche Konsequenzen das hat, kann man praktisch ausprobieren. Das ist deshalb eine Möglichkeit, wie ein Weiterleben nach dem Tode für einen Pragmatiker annehmbar ist.
Daraus wird klar, was oben mit "nützlich" gemeint war:
Nützlich für mein Leben,
als glückliches und langfristig florierendes Leben.
Soweit so einfach. Das Problem liegt natürlich darin, festzustellen, welche Ziele man verfolgen muß, um so zu leben und welche Konsequenzen aus einer Handlung oder Behauptung folgen. Dieses Problem kann nur durch konsequente Vernunft gelöst werden, die auf den folgenden Prämissen beruht:
- Die Konsequenzen von Behauptungen kann man durch Schlußfolgerung erschließen und letztlich nur durch Handeln (Experiment) beweisen.
- Die Konsequenzen von Handlungen kann man sinnlich wahrnehmen (operationale Beschreibungen).
Die Basis der Weltbeschreibung müssen also sinnliche Wahrnehmungen sein. Darauf bauen Konzepte auf, die diese Wahrnehmungen in einen widerspruchsfreien Zusammenhang bringen. Aus diesen Konzepten können neue Handlungen und ihre Ergebnisse (Vorhersagen) abgeleitet werden, die Lebensmöglichkeiten erweitern. Wir sehen, das sind alles nur Anwendungen dessen, was wir oben "Philosophieren" nannten.
Der nächste Schritt wäre die Ableitung von Spielregeln (Prinzipien), mit denen die genannten Verhaltensweisen gefördert und verwirklicht werden. Da es sich hier nur um eine erste kleine Einführung handelt: Ende!
Jetzt bist Du dran - und wenn Du mehr wissen willst, kannst Du auf dieser Site rumschmökern: Es gibt noch viel zum Thema zu finden.
Das Leben gibt es nur als permanente Beta-Version.
Kommentare
11 [!!!]. These über Feuerbach
Hervorhebenswert an der sehr gelungenen Einführung finde ich, dass es einmal nicht DIE Philosophie als System gibt, sondern mehrere Philosophien gibt.
Es kommt eben darauf an, mit SEINER Philosophie SEINE Welt zu verändern.
Aber leider verkommt Philosophie dazu, um von weltfremden Buchstabengelehrten zergliedert zu werden.
Deshalb war der Kommentar zum Liber Al dringend notwendig.
Jo, der olle Marx ...
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern." - Die fand ich schon als Youngster überzeugend :-)